Kreditgenossen bestimmen ihren Reifegrad
Von Silke Stoltenberg, Frankfurt
Die genossenschaftliche Finanzgruppe hat eine Standortbestimmung beim wichtigen Strategiethema Nachhaltigkeit gestartet. Dazu gibt es seit dem 22. Juni ein Nachhaltigkeitsportal, dessen Kern ein Tool ist, mit dessen Hilfe alle Banken nach einem internen Notenschema in Anlehnung an gängige Nachhaltigkeitsratings ihren eigenen „Reifegrad“ ermitteln können. Daneben gibt es für jede Bank individuelle Empfehlungen, wie sie ihre Note perspektivisch verbessern kann.
Verantwortlich für das Portal ist der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) zusammen mit den Regional- und Spezialverbänden (ausgenommen die Sparda-Gruppe) und den Verbundunternehmen. Anbieter und Entwickler ist der verbundeigene Dienstleister DG Nexolution. „Mit dem Portal soll unsere seit Ende 2020 bestehende Nachhaltigkeitsstrategie heruntergebrochen werden auf die einzelnen Mitgliedsinstitute“, erläutert Marco Rummer, Vorstand bei DG Nexolution. Das Portal diene „als Wissensplattform, zur Positionierung am Markt, zum Erfahrungsaustausch, zur Kommunikation gegenüber Gremien und für künftiges Reporting“.
Offiziell besteht zwar kein Zwang, dass alle Institute diesen Test zum nachhaltigen Reifegrad absolvieren, doch implizit ist der Druck da, weil sich die Genossen die Nachhaltigkeit als eines der strategischen Zukunftsthemen auf die Fahnen geschrieben haben. Dabei ist die Hemmschwelle aber auch niedrig: Die Nutzung des Portals ist kostenlos, die Verbundunternehmen haben die Finanzierung übernommen. In der ersten Ausbaustufe habe die Entwicklung weniger als 1 Mill. Euro gekostet, präzisiert Rummer. Weitere Neuerungen und Erweiterungen sind aber auch schon fest geplant.
„Der von uns konzipierte Reifegrad darf nicht vermengt werden mit den Ratings der einschlägigen Anbieter, aber unsere Systematik ist eng angebunden an die marktgängigen Angebote hierzu“, betont Thomas Nicht, beim BVR Projektleiter nachhaltige Finanzen. „Wobei auch klar festzuhalten ist, dass die derzeitigen Ratingangebote am Markt für Großbanken geeignet sind, aber nicht für kleinere Häuser.“ Insofern spielen die Pariser Klimaziele wie auch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) eine zentrale Rolle.
Katalog von 40 Fragen
Darauf basierend gibt es einen Katalog mit 40 Fragen zu sechs verschiedenen Handlungsfeldern: Risikomanagement, Geschäftsbetrieb, Kerngeschäft, Strategie, Kommunikation sowie Ethik und Kultur. Dabei sollen die Nachhaltigkeitsbeauftragten der Banken auf einer Skala von 0 bis 5 ihr Haus für jede Frage einstufen, wobei 5 die beste Bewertung ist und zum Beispiel dem Niveau der genossenschaftlichen GLS Bank entspricht. Daraus ergibt sich dann eine Reifegrad-Einstufung für jeden Handlungsstrang sowie eine Gesamtnote. Hintergrund ist, dass jedes Mitgliedsinstitut der genossenschaftlichen Finanzgruppe bis 2025 zwischen 3 und 4 stehen soll. Dabei gibt es die grundlegende Systematik des Reifegrads in der genossenschaftlichen Finanzgruppe bereits seit Ende 2020, als die Nachhaltigkeit zum zentralen strategischen Zukunftsthema auserkoren worden war.
Im Zentrum des Online-Fragenkatalogs stehen wie auch andernorts in der Finanzbranche die ökologischen beziehungsweise insbesondere die Klimathemen (CO2-Ausstoß) im Zentrum des Reifegrads. Daneben spielen aber auch soziale Aspekte wie Mitarbeiterschulungen, faire Gehälter oder Mitspracherechte eine Rolle.
Einen Monat nach dem Start des Portals am 22. Juni parallel zum großen alljährlichen Familientreffen der Genossen, der Bankwirtschaftlichen Tagung in Berlin, gibt es für das Angebot der DG Nexolution bereits mehr als 1 300 Registrierungen, darunter 360 Banken, was fast der Hälfte der genossenschaftlichen Primärinstitute entspricht. Der Rest sind Personen wie die Nachhaltigkeitsbeauftragten, Vorstände oder Mitarbeiter.
Verbesserungspotenzial
Neben dem Ist-Zustand der eigenen Nachhaltigkeit bietet das Nachhaltigkeitsportal aber auch Angebote, wie sich die Einstufung verbessern lässt. Hier gibt es zum einen den jeweiligen Schwächen entsprechende Angebote der Verbundunternehmen – was wiederum auch die Kostenübernahme der Portalnutzung durch diese erklärt. Zum anderen gibt es von einzelnen Häuser Best-Practice-Beispiele, die zum Nachahmen empfohlen werden.
Weitere Angebote in dem Portal sind wesentliche Dokumente und Leitfäden zum Thema Nachhaltigkeit sowie ab September auch ein Newsroom mit aktuellen Nachrichten rund um das Thema. Da 2025 für einen besseren Reifegrad aktuell noch in weiter Ferne scheint, gibt es ab September außerdem noch weitere Anreize, sich zu verbessern. Zum einen die Möglichkeit, sich für die einzelnen Handlungsfelder individuelle Zielmarken zu setzen, und zum anderen eine Vergleichsmöglichkeit mit den zehn besten Instituten und mit dem Median. Dabei lässt sich das Ganze auch etwa per Bilanzsumme, Region, Mitarbeiterzahl als Benchmarking-Übersicht einstellen.
„Es gibt keine Pflicht, bei dem Reifegrad mitzumachen, aber nahezu alle Institute der Gruppe haben sich hierzu bereiterklärt“, führt Rummer aus. Nicht ergänzt: „Ziel ist es, jede Bank erst einmal dort abzuholen, wo sie aktuell steht.“ Dabei soll idealerweise der Selbsttest regelmäßig wiederholt werden, am besten mehrmals im Jahr. Damit kann dann jede Bank gegenüber dem Aufsichtsrat, den Mitgliedern oder Mitarbeitern Fortschritte dokumentieren. „Das Ganze ist aber kein Selbstzweck, sondern soll unseren Banken ermöglichen, die großen Geschäftschancen aus dem Thema Nachhaltigkeit zu heben, wobei gleichermaßen drohende regulatorische Pflichten, wie beispielsweise umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung, durch das Angebot deutlich vereinfacht und effizienter abgebildet werden können“, sagt Rummer. Vor diesem Hintergrund dürften sich auch Schummeleien einzelner Häuser beim Ausfüllen des Reifegrad-Fragenkatalogs in Grenzen halten. Auf Dauer würde es sich jedenfalls nicht auszahlen, sich bei dieser großen gesellschaftlichen Herausforderung selbst in die Tasche zu lügen.
Kreditvergabe als Nächstes
Mit Blick insbesondere auf künftige Anforderungen der Aufsicht, etwa die Green Asset Ratio, wird im nächsten Jahr auch die Kreditvergabe per Selbsttest unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit in den Reifegrad mit eingebunden. Grundsätzlich ist das Tool nicht starr, sondern soll sich permanent weiterentwickeln. Rummer und Nicht nennen beispielsweise die ab 2024 kommende neue nachhaltige Unternehmensberichterstattung, sich entwickelnde verbindliche Standards bei verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten, Vorgaben der Aufsicht, den Einbezug offiziell angebotener ESG-Ratings zumindest auf Gruppenebene und für die großen Institute, mehr Fragen im sozialen Bereich oder unter dem Blickwinkel der guten Unternehmensführung. Damit soll das Tool ein zentrales Werkzeug dazu sein, die genossenschaftliche Finanzgruppe in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln.