"Reform gewährleistet keine Versorgungssicherheit im Wettbewerb"
Das BMWI plant eine Änderung des Kartellrechts speziell für die Energiewirtschaft. Herr Dr. Schütze, worum geht es?Die derzeit vom BMWi geplanten Sonderregelungen zielen darauf ab, ein Regelbeispiel zu formulieren. Das soll künftig bedeuten, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Stellung schon dann missbraucht, wenn es Preise oder Preisbestandteile fordert, die ungünstiger als die Preise von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten sind. Bislang hat die Rechtsprechung bei der Feststellung eines Preishöhenmissbrauchs immer eine Erheblichkeit der Überhöhung gefordert. Darauf soll es jetzt nicht mehr ankommen. Neu ist auch, dass im Rahmen einer Preishöhenmissbrauchsaufsicht einzelne für sich abtrennbare Preisbestandteile überprüft werden können. Nach der Rechtsprechung war bisher nur der jeweilige Gesamtpreis bei der Frage entscheidend, ob Missbrauch vorliegt. Das Ministerium strebt zudem eine erhöhte Darlegungs- und Beweispflicht an. Daneben ist eine gesetzliche Klarstellung beabsichtigt, wonach die Preisfestsetzung missbräuchlich sein soll, wenn die Marge zwischen Entgelt/Entgeltbestandteilen und den Gestehungskosten unangemessen hoch ausfällt. - Welche Motivation steckt hinter diesen Bestrebungen?Nach den BMWi-Verlautbarungen sollen damit wettbewerbsfähige Strompreise gesichert werden. Insbesondere die gestiegenen Großhandelspreise sind für das Ministerium der Stein des Anstoßes. Es ist der Auffassung, der Anstieg der Großhandelspreise für Strom sei nicht durch die gestiegenen Kosten in der Erzeugung zu erklären. Deshalb müssten Missbräuche marktbeherrschender Stellungen in Erzeugung und Großhandel verhindert werden. - Was würde sich durch die Gesetzgebungspläne ändern?Dem BMWi geht es darum, die Missbrauchsaufsicht im Energiebereich wirksamer werden zu lassen. Als sektorspezifisches Recht regelt das EnWG im Wesentlichen nur die Netzentgelte für leitungsgebundene Energien (Strom und Gas). Damit werden aber nicht alle für den Endverbraucher relevanten Preiskomponenten erfasst. Das GWB sieht demgegenüber eine branchenübergreifende Missbrauchsaufsicht vor. Durch die Gesetzgebungsinitiative sollen spezielle Regeln für die Energiewirtschaft geschaffen werden. - Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Initiative ein? Die Gesetzgebungsinitiative stellt einen fatalen Anachronismus dar, der den Grundsätzen unserer Marktwirtschaft widerspricht. Ein neues Sonderkartellrecht für den Energiesektor würde einen Rückfall in alte Zeiten bedeuten. Noch mit der 6. GWB-Novelle Ende der neunziger Jahre hatte der Gesetzgeber Sonderregelungen für den Energiebereich abgeschafft. Einerseits von der Energiewirtschaft im Wege der Liberalisierung Wettbewerb zu fordern und die Bereichsausnahme zu streichen, andererseits unter Bezugnahme auf die Besonderheiten dieses Industriesektors Sonderregelungen zu schaffen ist inkonsistent und widersprüchlich. - Was sind die rechtlichen Bedenken im Einzelnen?In seiner Rechtsprechung hat der BGH dargelegt, dass jeder Rechtsmissbrauch eine erhebliche Abweichung von der Norm voraussetzt. Ohne eine solche fehlt es am Unwerturteil. Nur dieses rechtfertigt jedoch eine Untersagungsverfügung. Auf die Erheblichkeit bei der Überschreitung des wettbewerblichen Vergleichspreises zu verzichten ist deshalb systemwidrig. Systematisch verfehlt ist auch die jetzt ins Auge gefasste Möglichkeit, einzelne Preisbestandteile auf Wettbewerbskonformität zu überprüfen. Für die Marktgegenseite und damit den Wettbewerb kommt es allein darauf an, ob sich das Gesamtentgelt im wettbewerblich zulässigen Rahmen hält. Wie ein Unternehmen seine Kosten in der Kalkulation abzudecken versucht, ist eine rein interne Handlung. Dies stellt ein Betriebsgeheimnis dar. - Welche Auswirkungen würde eine derartige Änderung des gesetzlichen Rahmens für die Energiewirtschaft haben?Der Vorstoß des BMWi ist investitions- und innovationsfeindlich. Zukünftig Erzeugungs- und Großhandelspreise nur noch auf dem Niveau vergleichbarer Preise oder Preisbestandteile anderer Unternehmen ohne Rücksicht auf getätigte Investitionen zuzulassen wird dazu führen, dass Versorger die Investitionen in neue Kraftwerke nicht mehr tätigen können, da es den betriebswirtschaftlich erforderlichen Return on Investment nicht mehr geben wird. - Wofür plädieren Sie?Bundeskanzlerin Merkel tut gut daran, diesen Plänen mit großer Skepsis entgegenzutreten. Kommt die Gesetzgebung, kann es darauf hinauslaufen, dass das wesentliche Ziel der Regulierung der Energiewirtschaft, nämlich die Versorgungssicherheit bei funktionierendem Wettbewerb zu gewährleisten, verfehlt wird. Dr. Joachim Schütze ist Partner und Leiter der Kartellrechtsgruppe von Clifford Chance, Düsseldorf.Die Fragen stellte Walther Becker.