Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Annette Mutschler-Siebert

Kartellgeschädigte setzen sich bisher noch zu selten zur Wehr

Brüssel will private Schadenersatzklagen erleichtern, um Druck zu erhöhen

Kartellgeschädigte setzen sich bisher noch zu selten zur Wehr

- Frau Mutschler-Siebert, regelmäßig ermuntern die Wettbewerbshüter der EU bei Verhängung von Kartellstrafen die Geschädigten, auf Schadenersatz zu klagen. Da müsste ja eine regelrechte Lawine losgetreten sein, wenn man allein an die Fälle Spannstahl und Badezimmerausstattung denkt?Das könnte man vermuten. In jeder Pressemitteilung zu einem Bußgeldfall wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen weist die EU-Kommission ausdrücklich darauf hin, dass auch Dritte, die von einem Kartell betroffen sind, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadenersatz klagen können. Dies gilt auch für die im Juni 2010 verhängten Bußgelder von 622 Mill. Euro gegen 17 Hersteller von Badezimmerausstattungen sowie gegen 17 Hersteller von Spannstahl über 518 Mill. Euro.- Warum?Brüssel hat es sich zum Ziel gesetzt, neben der öffentlichen Durchsetzung kartellrechtlicher Verbotsnormen im Wege von Bußgeldverfahren die Möglichkeiten der "privaten" Durchsetzung - in Form von Schadenersatzklagen von Geschädigten - zu erleichtern und so den Druck auf Kartelle zu erhöhen. Im deutschen Recht (§ 33 GWB) sind viele dieser von der Kommission geforderten Erleichterungen für solche Schadenersatzklagen umgesetzt. In der Praxis sind solche Verfahren jedoch immer noch die Ausnahme.- Warum halten sich die Betroffenen so auffällig zurück?Ein Grund dürfte darin liegen, dass die geschädigten Unternehmen ungern ihre langjährigen Geschäftspartner verklagen. Hinzu kommt, dass viele Geschädigte die überhöhten Preise, die sie über Jahre gezahlt haben, an die nächste Marktstufe bzw. den Endverbraucher weitergegeben haben. Der Hauptschaden verbleibt dann oft bei vielen einzelnen Abnehmern, die sich selten zur Wehr setzen. Dabei hat die deutsche obergerichtliche Rechtsprechung kürzlich bestätigt, dass Abnehmer jeder Marktstufe gegen die am Kartell Beteiligten vorgehen können.- Besteht da nicht auch eine Sorgfaltspflicht für Geschäftsführer, die Mittel einzutreiben?Grundsätzlich ist jede Geschäftsleitung dazu angehalten, Ansprüche des Unternehmens gegen Dritte zu prüfen und, wo rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll, auch durchzusetzen. Eine Verletzung dieser Pflicht kann dazu führen, dass die Unternehmensleitung für den entstehenden Schaden haften muss. Die Geschäftsleitung sollte daher zumindest sorgfältig prüfen, ob ein Schadenersatzanspruch gegen Kartellteilnehmer besteht und ob er durchgesetzt werden kann bzw. sollte. Gleiches gilt angesichts der haushaltsrechtlichen Vorgaben auch für die öffentliche Hand.- Wer kann unter welchen Voraussetzungen Schadenersatz aufgrund der festgestellten Kartellverstöße geltend machen, und was sollten Geschädigte tun?Jeder unmittelbar (etwa als Vertragspartner) oder mittelbar (z. B. als Abnehmer dieses Vertragspartners) von einem Kartellrechtsverstoß Betroffene kann vor den Zivilgerichten Schadenersatz verlangen. Der Nachweis, dass verstoßen wurde, muss dabei nicht von den Geschädigten erbracht werden. Das Gericht ist vielmehr an eine bestandskräftige Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes durch die EU-Kommission gebunden. Wenn die Geschädigten nachweisen, dass sie im relevanten Zeitraum kartellbefangene Produkte bezogen haben, ist damit auch die Ursächlichkeit des Verstoßes für den Schaden in der Regel ausreichend dargelegt.- Wie ist die Situation bei festgestellten Verstößen durch nationale Kartellämter?Bei Verstößen, die durch nationale Kartellbehörden festgestellt werden, gilt rechtlich nichts anderes. Das Bundeskartellamt hat beispielsweise 2010 Bußgelder gegen Kaffeeröster sowie gegen Hersteller von Brillengläsern und Großdampferzeugern verhängt. Betroffene können auch hier Schadenersatz geltend machen, und das Gericht ist an eine bestandskräftige Feststellung des Kartellverstoßes gebunden.- Sind angesichts der Situation neue Regelungen erforderlich?Der Grund für die zurückhaltende Nutzung von Schadenersatzklagen durch geschädigte Unternehmen ist aus unserer Sicht nicht im bestehenden Rechtsrahmen zu suchen. Durch die Neufassung von § 33 GWB im Zuge der 7. GWB-Novelle hat der deutsche Gesetzgeber eine effektive Anspruchsgrundlage geschaffen. Es bleibt abzuwarten, ob die jüngsten Bußgeldentscheidungen und die weitere Klarstellung der Anspruchsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung zu höherer Klagebereitschaft führen.----Dr. Annette Mutschler-Siebert ist Partnerin bei K & L Gates. Die Fragen stellte Walther Becker.